Freitag, 27. Mai (Tag 6)

IMG_9106  Hotel Alpina, man schaut an Krachen um Krachen, aber so ein zartes freundschaftliches Licht, Schnupftabak und Stimmengewirr, Dorfjugend, so ein Moped ist der Beweis sämtlicher Freiheiten. Dann unvermittelt Musiker, die staunen und doppelte Espressi und die Dorfkapelle so rund und fein wie ein Stein angespült von Wogen über Jahre hinweg geglättet.
Warten ist kein Zustand, nur Arbeiten ist einer, kann man hier an denen ablesen, die seit Jahrhunderten den Bergen, dem Schnee trotzen, ihnen ein Leben abtrotzen.

Dann weiter mit so einem Postauto, das zu einer Schweizer Kindheit gehört, unabdingbar, dieses gelbe Scheissding und meistens auch noch pünktlich und immer sind die Leute mit den Walking Sticks drin, selbst, wenn man nur zum Türler See fährt. Da sind also wieder diverse Menschen mit Walking Sticks, dieses Mal aber freundliche mit so hellen Gesichtern und verwanderten Beinen, das erkennt man sofort, das Dynamische, Naturverliebte, Regelgetreue, das da in den Gesichtern blüht, eine Ehepaar sehr wanderwegkundig und aus dem Kanton Uri – die Zürcher sind natürlich wiedermal die Verhassten, da schäme ich mich direkt wieder, aber irgendwie freut’s mich auch, wenigstens etwas Brauchbares generiert die Idee vom KANTON, nämlich den Hass auf die ZürcherInnen, diese verschlagenen PseudogrossstädterInnen, zu denen ich unstolz, aber prätentiös gehöre – nein, nein, sie fahren dort (ZH) nur manchmal hin wegen des Zoos und der Oper, aber das kulturelle Angebot in der Innerschweiz sei eh schon zu gross, man müsse wählerisch bleiben; jaja, man kann ja auch durchaus zwischen Rivella blau, rot und grün auswählen, das ist ja allerhand schon. Und wenigstens neigen sie die Köpfe und sind nicht auf Tell stolz, ihnen ist der Tell egal, das ist gegenteilig zu allem, was ich glaubte, ein Ürner dem der Tell egal ist, wenn auch es schon – das erwähnen sie gerne – etliche Gründe gäbe, auf die Schweiz und die Geschichtsschreibung stolz zu sein – wenn auch, wenn auch nicht alles aufgearbeitet, gibt der Herr zu verstehen; Bodenständigkeit und Arbeitsamkeit, das ist immer die Glocke, die bimmelt und ich denke an die Wetterfront, die aufzieht, bald sind wir im Tessin, dort ist alles anders. Eintritt in Sphären der Gelnägel, des Burkaverbots, der Selbstironie und der verkleinerten Italianita – oder dem, was Deutschschweizer (zucchini) damit verwechseln. KB


Heute wagen wir uns ins Tessin vor. Ich erwarte Kommunikationsschwierigkeiten. Italienisch kann ich nur gefühlt. In Biasca steigen wir aus, nicht weit von Pollegio, wo am 1. Juni die grosse NEAT-Party steigen wird. Ich lasse mich von meinen virtuellen Wanderführer_innen ins Stadtzentrum lotsen, rufe „HILFE!“ und „määäh!“ und betrete eine Baustelle, die mit einem „Accesso vietato!“ beschildert ist. Solche Aufträge erfüllt Trixie willig. Bei „Klau dem Kind das Eis!“ oder „Klau das Kind!“ mache ich Gebrauch von meinem Avatar-Befehlsverweigerungs-Recht. Mit den realen Menschen gestaltet sich die Kommunikation tatsächlich etwas schwieriger, aber nicht weniger unterhaltsam. Ich frage drei Mädels ob sie was für mich singen können, was sie auch tun. Im Gegenzug gebe ich „L’inverno è passato….“ zum Besten, das ich wohl seit 30 Jahren nicht mehr gesungen hab. Dann klettere ich ein Stück la montagna hoch, in Richtung campanile. Still ist es da oben, eine herrliche Aussicht über die Stadt. Wir haben akustische Übertragungsprobleme. Ich zähle drauf, dass die die Schönheit der Landschaft den technischen Makel wett macht. Ich tauche meine Füsse in den kühlen Bergbach und tue eine Weile nichts.

Also, das ist auch die Schweiz. Dieses schon fast italienische Land, wo ich die Fremde bin. Eine ganze Woche bin ich nun die Avatar-Trixie. Jeder sieht mich, wenn ich durch die Strassen gehe. Die Einen ignorieren mich, die Anderen starren mir nach. Ich bin freundlich zu allen. Wohin auch immer ich komme, ich will, dass man mich mag. Ich gebe mir viel Mühe, als eine der ihren wahrgenommen zu werden. Ich leiste ununterbrochen Assimilationsarbeit. Ich integriere mich, wo ich nur kann. Aber hier, in diesem südlichen Schweizerland, versagt meine Trixietechnik. Ich verstehe nicht, was die Leute sagen, ich kann keinen halbwegs plausiblen Satz formulieren. Nur Brocken stammeln, das kann ich. Was die ganze Woche so einfach war, direkt auf die Leute zugehen, Hallo sagen, ein Gespräch beginnen, fällt mir hier sehr schwer. Was ist die Trixie wenn sie nicht mit den Leuten reden kann? Eine komische Fremde, in einem etwas zu schrillen Kostüm.

Wieder unten im Dorf, wird mir zur Cola ein Apero gereicht: Schinken auf Butterzopf. Ob er denn auch zum Fest rübergehe, nächste Woche nach Pollegio, frage ich den Lokalbesitzer einen etwas schrulligen, älteren Hernn. Nein, dafür habe er keine Zeit, er werde in seinem Lokal stehen. Später stehe ich beim Eingang zum Coop und frage nach der Richtung zum Festgelände. Einer bietet spontan einen Schuttledienst an. Mechaniker. Schon lange in der Schweiz. Aber im Herzen Italiener geblieben. Heute abend mache er ein Grillfest mit Freunden. Wochenende!

Das Festgelände, eine staubigen Strasse, eine grosse Bühne mit noch grösserer Projektionsleinwandan, Festzelte, Präsentationscontainer. Ein Interimscamp für die Eventgesellschaft. Eine Crew ist geschäftigt mit der finalen Einrichtung des Zugsimulators beschäftigt. Ja, man müsse sich beeilen. Zwar sei der offizielle Event erst in 5 Tagen, aber bereits ab morgen sei das Gelände aus Sicherheitsgründen gesperrt. Bis dahin müsse alles fix sein. Ich komme mir vor wie in einer Filmkulisse. Alle arbeiten fleissig an einem grossen Ding. Ich, verirrte Komparsin, die vergessen hat, wo sich ihre Garderobe befindet.

Dann eine Busstation zurück in Richtung Biasca. Dorfplatz. Kneipe. Menschen stossen auf den Freitagabend an. Ich frage, ob jemand Deutsch spricht, oder Englisch oder Französisch. Französisch hier! Ein älteres Ehepaar. Sie laden mich auf einen gespritzten Weissen ein. Was sie lieben am Tessin und was sie hassen. Der Tunnel, die Schweiz, Europa. Gespräch mit Freunden. BF


Ich weiss nicht mehr genau, wie ist alles ausgegangen, wie weitergegangen, gelandet irgendwo im Süden. heiss, Autos an den Fersen, italienisch, Berge, immer noch, links und rechts, Piazzas, so echte, also ich meine Plätze und all das und dann weiter, meine Karte geht nicht und der zug fährt nicht, ich habe einfach kein Kredit mehr, dafür so einen Aperitif trinken, einfach so aus Prinzip und die eigenen Wanderschuhe zusammenreissen sich im Nacken, den Schweinehund und all das und zurück übern Pass und wieder nach Norden und kurz über Erstfeld und Eröffnungsprobe, wir wollen alle immer alles nur eröffnen, aber nie zumachen, nie machen wir diese Tunnel wieder zu, sondern nur auf, also jedenfalls nicht mit einer Feier, und es regnet überall, es regnet einfach mal wieder überall, und auch in meinem Herzen, das läuft über vor Regen, ist denn hier Dschungel, und dann Großstadt, und das ist schon viel später und bitte ein stop. GD

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